Robert Simon    
   
Leuchtende Vorbilder / Kunstprojekt erleuchtet die City                         
 
Die Licht-Gestalten
 
 

Hannah Arendt wäre zufrieden gewesen. Nicht, weil sie gerne auf der Siegerseite gestanden hätte. Sieger waren für sie in vielen Fällen moralische Verlierer. Sondern weil sie, die Philosophin, geboren am Lindener Marktplatz 2, gerne das „Machtpotenzial einer an der öffentlichen Sache interessierten Bürgerschaft“ beschwor, wie sie das in ihrer „Vita activa“ nannte. Und jetzt haben sich rund 5000 HAZ-Leser an unserer Abstimmung beteiligt. Sie haben gewissermaßen von ihrer „menschlichen Freiheit zu handeln“ (Arendt) Gebrauch gemacht und darüber abgestimmt, welche der 20 vorgeschlagenen hannoverschen Persönlichkeiten bei dem Lichtkunstprojekt „Leuchtende Vorbilder“ geehrt werden. Strahlende Siegerin: Hannah Arendt. Fast jeder Vierte gab ihr seine Stimme. Arendts Kollege Leibniz, dessen Briefwechsel Hannover immerhin jüngst den Unesco-Titel „Weltdokumentenerbe“ eingetragen hat, landete auf Platz fünf.

Arendt, Leibniz und acht weitere große Geister werden bald das Trottoir der Georgstraße erleuchten. Jedes Porträt wird mit einem Spezialprojektor, befestigt an einer Straßenlaterne in fünf Meter Höhe, in einem zwei Meter breiten Lichtkegel aufs Pflaster projiziert. Die Künstler, Denker und Politiker werden dabei im Wortsinne zu geerdeten Lichtgestalten. Zu Genies, die den Straßen ihrer Stadt ein wenig vom eigenen Glanz verleihen – und die Identität stiften. „Die sensationell hohe Abstimmungsbeteiligung zeigt, wie viele Menschen sich mit ihrer Stadt und deren wichtigen Figuren identifizieren“, sagt Galerist Robert Simon, der Initiator der Aktion. Rund 400 Leser hatten per Postkarte, 4552 im Internet votiert.

Auf der Seite der Oper, vor dem Portal des historischen Laves-Baus, geben sich künftig Kurfürstin Sophie und Leibniz mit Hannah Arendt ein Stelldichein. Komplettiert wird die illustre Intellektuellenrunde durch Astronomin Caroline Lukretia Herschel, die als Kind immerhin noch Untertanin von Sophies Enkel Georg II. war – so bleibt in Hannover vieles in der Familie. Auf der anderen Straßenseite, am nördlichen Ende des Georgsplatzes, bilden SPD-Politiker Kurt Schumacher und Flugpionier Karl Jatho eine kleine Männerrunde.

Südlich der illuminierten Sitzbänke, die die Georgstraße gemeinsam mit den „Leuchtenden Vorbildern“ in eine Lichtkunstmeile verwandeln, geht es musischer zu: Kurt Schwitters, Grethe Jürgens und Erich Wegner, gleich drei hannoversche Künstler des 20. Jahrhunderts, bilden dort, nahe dem belebten Aegi, eine Art öffentliche Ateliergemeinschaft. Vierter im Bunde ist Schallplattenerfinder Emil Berliner, der sich ja gewissermaßen um die Verbreitung von Tonkunst verdient gemacht hat.

Die Arbeit an Hannovers Straße der Vorbilder beginnt heute in Frankfurt: Der renommierte Lichtkünstler Vollrad Kutscher steht vor einem Kreativmarathon. Binnen zwei Wochen muss er zehn Glasplatten für die Projektoren anfertigen: „Zuerst werden Namen und Lebensdaten ins Glas gelasert, die Porträts male ich dann mit spezieller Farbe“, sagt er. Die Platten werden bei mehr als 500 Grad gebrannt. Bis zum 19. Dezember, 16 Uhr, müssen alle Projektoren installiert sein. Dann will Kutscher die Lichter anschalten – gemeinsam mit Robert Simon, Oberbürgermeister Stephan Weil und Stadtwerkechef Michael Feist, denn passenderweise werden die „Leuchtenden Vorbilder“ von enercity gesponsert.

Kutscher und Feist hatten übrigens denselben Favoriten: Kurt Schwitters. „Er verstand es, alte Materialien in neuem Licht erstrahlen zu lassen“, sagt Feist. Hoch im Kurs bei den HAZ-Lesern standen auch Hannovers Damen – ganz ohne Frauenquote. Um Haaresbreite hätten sie bei der Abstimmung die Fünfzig-Prozent-Marke geknackt: Elisabeth von Calenberg, die große Förderin der Reformation im 16. Jahrhundert, lag nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen nur vier Stimmen hinter Emil Berliner.

Hannoversche Allgemeine Zeitung, 04.12.2007
Texte: Simon Benne


Foto: Karin Blüher

Die Leuchtenden Vorbilder im Überblick:

Hannah Arendt (1906 bis 1975)
Emil Berliner (1851 bis 1921)
Caroline Lukretia Herschel (1750 bis 1848)
Karl Jatho (1873 bis 1933)
Grethe Jürgens (1899 bis 1981)
Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 bis 1716)
Kurt Schumacher (1895 bis 1952)
Kurt Schwitters (1887 bis 1948)
Kurfürstin Sophie (1630 bis 1714)
Erich Wegner (1899 bis 1980)


 
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